Die Weltwoche Nr. 33, 15.August 1991, Ressort Kultur || Die Todesschüsse kommen aus der Banane Ueli Hirzel, der eigenwilligste Zirkusmann der Schweiz, und sein schrägstes Projekt : Cirque O || von Thomas Wördehoff

Dunkel. Man hört ein Geräusch, plötzlich ein Lichtkegel, ein Reif dreht sich, immer langsamer, schliesslich bleibt er liegen. Ein Mann in Alltagskleidung tritt auf, stellt sich in den Kreis und beginnt langsam sein Hemd zu öffnen, bis er schliesslich mit nacktem Oberkörper dasteht. Doch damit ist der Strip noch nicht zu Ende. Langsam lässt er seinen Bauch anwachsen, bis er zur Kugel wird. Aus. Ende. Nächste Nummer. An Sprödigkeit lässt dieser Abend wirklich nichts zu wünschen übrig. Ein Mann erscheint mit einem Staubsauger und reinigt lakonisch die Manege. Am Ende zieht er den Stecker raus und erwürgt das Gerät. Der staubtrockene Witz dabei: der Staubsauger war eine Frau im Spagat. Und genau hier liegt der merkwürdige und zuweilen wirklich unheimliche Reiz des Cirque O: Wenn zum Beispiel Bertrand Duval in einem kristallförmigen Trapez turnt, rast das Gerät scheinbar ausser Kontrolle um den verzweifelten Artisten. Oder wenn Emanuelle Jaqueline einen beklemmend erotischen Tanz am hängenden Seil vorführt, bleibt unklar, ob es nicht das Seil ist, das die junge Frau in der Gewalt hat. Der Tanz mit dem Fahrrad gerät Jean-Paul Lefeuvre zum veritablen Pas de deux, das Fahrrad wird zum Ballerino. ″Akrobaten aus den Dunkelkammern des Unterbewußtseins″ sah der SPIEGEL und in der Tat, der Cirque O spielt mit stupender Virtuosität mit Angst- und Trugbildern, die den Menschen zur willenlosen Marionette wildgewordener Objekte machen. Liebe ist auch sinnlos: Wenn zwei nackte, an den Füssen gefesselte Nosferatus sich in wilder Freude heftig umarmen, verknoten sich die Schnüre deart heimtückisch, dass die beiden nicht mehr freikommen.